Low-Cost-Automatisierung für Präzisionsdreher

Zukunftsrezept gegen Fachkräftemangel in der Zerspanung – im Besonderen beim Drehen

Aufgrund des Fachkräftemangels können eine Vielzahl von Arbeitsplätzen nicht besetzt werden. Soweit die Theorie, doch was, wenn die Fachkraft, wie oft üblich, im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit mit zeitraubenden, wenig anspruchsvollen „must do“-Aufgaben beschäftigt ist. Das „kleine Helferlein“ bzw. der „Hiwi“ könnte hier Freiraum schaffen: eine nützliche, ausreichend clevere und kostengünstige automatisierte roboterbasierte Einheit.

Den eigentlichen Zerspanungsprozess haben die Anbieter von Automatisierungslösungen seit jeher im Fokus. Dies betrifft nicht nur die gesteuerte geometrische Bewegung des Werkzeugs sondern vielmehr auch das Handling des Werkzeugs und des Werkstücks, solange sich diese innerhalb der Maschine befinden.

Spannend wird es, sobald Werkstück bzw. Werkzeug die Systemgrenze Werkzeugmaschine verlassen, um im Rahmen des innerbetrieblichen Materialflusses dem nächsten Fertigungsschritt zugeführt zu werden. Geht man hier in der Historie zurück, findet man Erstaunliches. So war es in den 90ziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereits üblich, bei Fertigungssystemen für kubische Werkstücke beispielsweise für die Block- und Kopfbearbeitung die Werkstücke von OP zu OP – also von Fräsmaschine zu Fräsmaschine – auf Linearsystemen bis hin zur Maschinenbeladung automatisiert zu bewegen. Hintergrund waren damals Gleichteile in hohen Stückzahlen, Qualitätsaspekte, Verfügbarkeit und Produktivitätsverbesserungen. Solange das Werkzeugspektrum identisch blieb, war dies auch möglich.

Zur gleichen Zeit traf man bei der Drehmaschine auf ein ganz anderes Bild. Von Prozess zu Prozess ging es bei rotationssymmetrischen Werkstücken eher manuell zu, gerade bei den Präzisionsdrehern womöglich in einfachen Blechkisten. Wobei ein Drehen von der Stange evtl. sogar aus einem Stangenlader schon einen gewissen Automatisierungsgrad, was die Werkstückbeladung betrifft, bedeutet. Bezogen auf die Werkzeuge hat es die Drehmaschine naturbedingt wesentlich einfacher. Diese können außerhalb des Wirkbereiches in Form eines Revolvers bereitgehalten und bei Bedarf einfach eingeschwenkt werden. Heißt also: Der gewiefte Dreher arbeitete von der Stange, evtl. sogar mit einem Mehrspindler in eine Blechkiste, in die die Teile einfach hineinfielen, um dann manuell den weiteren Fertigungsund Prüfprozessen zugeführt zu werden.
 

Voll automatisierte Zerspanprozesse
Forderungen in Richtung robuste zuverlässige Prozesse, geringere Ausschussraten, Prozessüberwachung, 24/7- Einsätze bei hoher Maschinenauslastung und hohe Maschinenverfügbarkeiten, Senkung der Lohnstückkosten, Flexibilität und kürzere Lieferzeiten haben in den letzten 10 bis 15 Jahren den Bedarf an voll automatisierten Zerspanprozessen erhöht. Dem kamen die Entwicklungen in der Steuerungstechnik und die sinkenden Preise von 6-Achs-Robotern entgegen. Vorauseilend agierten dabei, wie bereits in der Vergangenheit, eher die Fräser.

Bei der Bearbeitung von kubischen Werkstücken standen nun nicht nur die kinematisch einfachen Linearsysteme zur Verfügung, sondern vielmehr auch die vielachsigen Knickarmroboter. Damit stand der Automatisierung über die Systemgrenze Bearbeitungszentrum hinweg beim Be- und Entladen von Werkstücken und Werkzeugen nun auch für Einzelmaschinen oder Maschinengruppen bis hinunter zu mittleren- und kleinen Losgrößen nichts mehr im Wege. Zusätzlich bietet der Knickarmroboter in einer automatisierten Zelle weiteren wertvollen Zusatznutzen. Denn dieser kann, während sich Werkstücke im Zerspanprozess befinden, hauptzeitparallel Aufgaben wie Messen, Entgraten, Palettieren und Prüfen übernehmen.

Daraus entstanden sind die cleveren, kompakten und bewährten Lösungen mit einer Art Beistellzelle mit integriertem Knickarmroboter, welche geschickt an die Maschine als Standardmodul gestellt werden kann, um die Aufgaben der Automation zu übernehmen. Diese wird von den Herstellern von Fräsmaschinen und Bearbeitungszentren seit vielen Jahren standardmäßig im Produktprogramm angeboten.
 

Präzisionsdreher in Lauerstellung
Diese Anforderungen waren für die Langdreher oder Dreher von der Stange aufgrund der ohnehin hohen Produktivität ihrer Maschinen in den vergangenen Jahren nicht ganz so vorrangig, wie es bei den Fräsern der Fall war. Man war eher zurückhaltend und scheute Investitionen in die Automatisierung. Be- und Entladen sowie weitere Nebentätigkeiten überließ man lieber dem sowieso vorhandenen Maschinenbediener.

Doch hier findet nun aufgrund der eingangs genannten Veränderungen am Arbeitsmarkt ein Umdenken statt. Inzwischen nehmen die Herausforderungen des Fachkräftemangels einen großen Raum ein. Die wenigen zur Verfügung stehenden Kräfte müssen mit ihren Kompetenzen besonders in ihrem Fokusgebiet eingesetzt werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Einrichter, weil er nun einmal da ist, auch gleichzeitig logistische Aufgaben (Teiletransport, Beladen, Entladen) übernehmen kann. Wie sähe es aus, wenn Maschinengruppen über noch längere Zeiträume autonom arbeiten könnten?
 

Automatisierungslösungen für Drehmaschinen
Die Hersteller der entsprechenden Drehmaschinen haben dies erkannt und bieten nun speziell auf die Bedürfnisse der Lohn- und Präzisionsdrehereien ausgerichtete Lösungen an. Insbesondere bei der Firma Maier Machines und Robotics hat man sich intensiv Gedanken gemacht, wie die üblichen „Hiwiaufgaben“ von einem „kleinen automatisierten Helferlein“ übernommen werden könnten: beispielsweise das Entnehmen der Teile, das Reinigen und Palettisieren.

Neben den Vorteilen, dass der Maier Hiwi weder an das Smartphone noch in die Pause und schon gar nicht in den Feierabend geht, steht dieser Hiwi 365 Tage im Jahr hoch konzentriert und produktiv zur Verfügung. Eine geschickte Platzierung direkt über dem Späneförderer spart zusätzlich wertvollen Platz in der Halle. Ganz wichtig bei der Auslegung waren die klassischen Schwerpunkte eines Hiwis: extrem kostengünstig, flexibel einsetzbar, Leistungsbereitschaft, Verfügbarkeit. Das daraus entstandene Modul besteht aus den Elementen:

  • Das Grundmodul (der Körper): Fanuc Langarm-Miniroboter LR Mate 200 iD/7L. Neben dem schnellen Umgang mit kleinen Traglasten besteht die Stärke dieses kompakten Mehrzweck-Industrieroboters in der hohen Reichweite. Wie alle LR Mate-Roboter ist er mit einer Anzahl Optionen erhältlich, wie zum Beispiel integrierten intelligenten Funktionen (Vision & Force), Sonderanwendungspaketen und IP67-Schutz als Standard.
  • Greifer aus dem End-of-Arm-Baukasten (die Finger): Individuelle kundenorientierte Lösung angepasst auf den Anwendungsfall entweder aus Kunststoff oder Metall bis hin zum exklusiven 3D-Druck.
  • iRVision (das Auge): iRVision ist das Plug-and-Play- System von Fanuc für die optische Erkennung. Sowohl die Installation als auch die Bedienung des flexiblen Systems sind einfach und vollständig in die R-30iB-Steuerung integriert. Die 2D- oder 3D-Teileerkennung ermittelt Werkstücke jeder Größe und Form in jeder Position. Das System kann außerdem Strichcodes lesen und Teile nach Farben sortieren. Zudem unterstützt es eine flexible Teilezuführung, visuelle Linienverfolgung (iRPickTool) und das Greifen aus unsortierten Behältern und Paletten.
  • Die Paletten (der Muli): Die Paletten können individuell aus Blech oder Kunststoff gefertigt werden und sind an die Maße der Waschkörbe angepasst. Durch die Pendel-Bearbeitung an zwei Paletten braucht die Maschine nicht für den Palettenwechsel gestoppt werden.

Damit steht in der Grundversion ein vielseitiges und kostenoptimales System, einsetzbar an unterschiedlichsten Drehmaschinentypen auch von Drittherstellern, zur Verfügung. Ergänzt werden kann der Hiwi durch eine Station mit integrierter Reinigungs- und Abblasstation durch Pressluft bzw. einem Waschmedium, bedarfsweise auch mit Ultraschall. Hinsichtlich der Prozessüberwachung bzw. Qualitätssicherung ist der Hiwi für den Kundenprozess durch Kameras, Taster, Lasermikrometer oder automatisierte Messvorrichtungen erweiterbar.

Mit einem zusätzlichen IPC können die Messwerte an die Maschine übertragen werden. Das wiederum ermöglicht die geregelte Online-Kompensation an der Maschine. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit durch die Integration von Feldbus-Systemen eine Anbindung an das Firmennetzwerk zu realisieren, womit dem Anwender sämtliche Möglichkeiten im Rahmen von Industrie 4.0 zur Verfügung stehen und somit der Hiwi plötzlich „clever“ ist.
 

Für folgende Aufgaben prädestiniert
Damit kann der Hiwi von Maier Machines und Robotics für folgende Arbeiten am Langdreher bzw. an der Drehmaschine eingesetzt werden:

  • Automatisiertes Be- und Entladen von Werkstücken
  • Palettieren, Speichern und Puffern von Werkstücken
  • Reinigen von Werkstücken
  • Entgraten, Nacharbeiten
  • Messen und Prüfen von Werkstücken
  • Regelkreis mit der Maschine

Den aktuellen Herausforderungen entgegenkommend insbesondere bei den Lohndrehern steht so ein kostengünstiges und flexibles Modul als „Hiwi“ zur Verfügung. Die qualifizierten Mitarbeiter können sich damit auf ihre Fokusarbeiten konzentrieren, womit Lohnkosten effizient zugeordnet werden können. Bei kurzem Return on Invest kann der Hiwi in Zeiten schwankender Auftragsbestände zu und abgeschaltet werden ohne den Kostenrahmen zu sprengen. Damit steht für die hochproduktiven Zerspaneinheiten im Bereich des Drehens über die Systemgrenze Werkzeugmaschinen hinaus eine flexibel einsetzbare Automatisierungseinheit zur Verfügung. Das „kleine Helferlein“ für die „must do“-Arbeiten schafft Freiraum, um für Human Resources kompetenzbasierte Arbeiten zu ermöglichen.


mav – Innovation in der Fertigung | Ausgabe 09-2019

PDF-Download